Künstliche Intelligenz: Wenn Software zum Journalisten wird

Die digitale Revolution ist in vollem Gange. Roboter übernehmen einfach zu automatisierende Aufgaben im Transport-, Logistik-, Produktions- und im Dienstleistungs-Sektor und machen auch vor komplexeren Aufgaben in Forschung, Militär und Medizin keinen Halt. Nach einer Oxford-Studie werden sie in den nächsten zwei Jahrzehnten fast 50 Prozent der heutigen Arbeitsplätze ersetzen. Treiber dieser Entwicklung sind die großen Fortschritte in der Erforschung von Technologien auf Grundlage künstlicher Intelligenz (KI). Bilderkennung, maschinelle Lernverfahren, neuronale Netze und kontextbasiertes Arbeiten sind einige der wichtigsten Elemente dieser hochkomplexen technologischen Entwicklung.

Auch im Journalismus gewinnen Algorithmen bei der Nachrichtenerstellung und -kuration zunehmend an Bedeutung. Bis 2020 will allein die französische AP 80 Prozent ihres Nachrichtenangebots automatisieren. Unklar ist allerdings noch, welchen Einfluss dieser Trend auf den Journalismus haben wird – und für die Journalisten, die diesen betreiben. Wie werden die neuen Technologien die Branche verändern und wo werden sie bereits heute erfolgreich angewandt? Wir nehmen Sie mit auf eine Reise durch die neuesten Entwicklungen im Bereich KI und werfen dabei im Besonderen einen Blick darauf, welche Auswirkungen sie auf die Medienwelt haben.

Raus aus der Komfortzone

Egal, ob es sich um den Sieg der Google-Software AlphaGo gegen den weltbesten Go-Spieler oder das Scheitern von Microsofts Chatbot Tay handelt: Künstliche Intelligenz verändert die Welt – und die Einstellung von Journalisten gegenüber der neuen Technologie. Redakteure fühlten sich lange Zeit sicher in ihrem Beruf, bedroht waren die anderen. Denn Schreiben erfordert Kreativität. Eine Eigenschaft, die eine der Grundlagen des menschlichen Schaffens ist und deren Nachahmung zu den größten Herausforderungen in der Erforschung von KI gehört.

Die Realität sieht mittlerweile anders aus: Mit KI ist im weitesten Sinne die Digitalisierung menschlicher Wissensfähigkeiten gemeint – und Sprache gehört hier eben auch dazu. Weltweit binden Redaktionen schon heute Roboter in den journalistischen Arbeitsalltag ein. Die Software-Plattform Wordsmith erstellt automatisch standardisierte Sport- und Finanzberichte – namhafte Medien wie Forbes, New York Times und Los Angeles Times nutzen die Technologie seit längerem bei der Nachrichtenproduktion. Und auch in Deutschland experimentieren erste Verlage herum. Die Nordwest-Zeitung generiert beispielsweise für 300 Postleitzahlengebiete alle fünf Minuten einen aktuellen Wetterbericht.

Halb Mensch, halb Maschine

 Einen Schritt weiter geht die Washington Post. Als Amazon CEO Jeff Bezos 2013 Eigentümer der Post wurde, steckte der Roboter-Journalismus noch in den Kinderschuhen. Die Strategen des Blattes sahen enormes Potential in der Weiterentwicklung der Technologie. Sie entwarfen ein eigenes KI-System, das in Zukunft in der Lage sein soll, anspruchsvolle Artikel zu verfassen. Letztes Jahr präsentierten die Verantwortlichen das Ergebnis ihrer bisherigen Arbeit: Heliograf. Eine erste Version des Programms hatte selbstständig Artikel, Tweets und Blog-Posts rund um die Olympischen Spiele in Rio verfasst; eine weiterentwickelte Version unterstützte die Journalisten bei der täglichen Berichterstattung während des US-Wahlkampfs 2016.

Der hybride Ansatz ermögliche der Post die Produktion anspruchsvoller Texte bei höchster Aktualität. Am Beispiel der US-Wahl lässt sich die Vorgehensweise erklären: Die Redakteure erstellten inhaltliche Vorlagen für unterschiedliche Wahlergebnisse und fütterten die KI mit den Textbausteinen. Zudem wurde Heliograf mit einer Datenbank verknüpft, die aktuelle Daten lieferte. Die KI identifizierte anschließend alle relevanten Daten, passte sie mit den passenden Textbausteinen ab und veröffentlichte verschiedene Text-Versionen über alle Kanäle der Post hinweg.

Dass eine Zukunft mit mehrheitlich automatisiert erstellen Inhalten möglich ist, zeigt auch die Geschichte des britischen Magazins The Drum. Der durch seinen Sieg in der Quiz-Show Jeopardy! bekannt gewordene IBM-Supercomputer Watson gestaltete 2016 eine komplette Ausgabe des Heftes. Er traf die Bildauswahl, passte Texte an und gestaltete alle Seiten selbstständig. Vorab wurde die Super-KI mit Informationen zu Inhalt und Gestaltung eines Lifestyle-Magazins gefüttert und lernte, worauf es bei der Erstellung einer Ausgabe ankommt. In Kombination mit Software-generierten Inhalten wie denen von Forbes erscheint die Vision einer menschenfreien Redaktion plötzlich sehr real.

Bevor es soweit ist und Redakteure wirklich ersetzt werden könnten, müssen Maschinen neben handwerklichen und kombinatorischen Fähigkeiten allerdings noch eine Menge lernen. Sie müssen verstehen, über was berichtet werden kann und wo die Grenzen des professionellen Journalismus bestehen. Noch scheint es schwer vorstellbar, dass KI Texte verfasst, die Menschen beispielsweise zum Lachen bringen. Trotz dieser Herausforderungen besteht kein Zweifel daran, dass die Anwendung von KI einen Platz in der Zukunft des Journalismus haben wird. Es wird Aufgaben geben, die künftig Maschinen übernehmen und Bereiche, aus denen Journalisten mit hoher Wahrscheinlichkeit vollständig verdrängt werden.

Digitalisierung als Chance

Das Ergebnis einer aktuellen Trendumfrage des Zeitungsverlegerverbandes BDZV zeigt, dass die Grundstimmung in der Medienbranche bei aller Aufregung dennoch positiv ist. Demnach nehmen Verlage den digitalen Wandel an und wollen sich künftig auf die drei Bereiche Social Distribution, Big Data und eine am Digitalen ausgerichtete Organisation konzentrieren. Ähnlich positiv ist das Ergebnis der Studie Welt im Wandel, die zeigt, dass 95 Prozent der europäischen Arbeitnehmer glauben, dass ihr Unternehmen im Jahr 2017 von den Veränderungen der Digitalisierung profitieren kann. Im Klartext: Die neuen Technologien bieten für die Wirtschaft im Allgemeinen und den Journalismus im Speziellen großes Potential und können (und sollten) durchaus als Chance begriffen werden.

KI kann dabei helfen, redaktionelle Potentiale freizusetzen und durch die Unterstützung in Kernkompetenzen den Newsroom effizienter gestalten. Einfache, sich wiederholende Fleißarbeiten übernehmen künftig die Robo-Kollegen. Recherchieren, Analysieren und Redigieren gehören dazu, ebenso wie die Aktualisierung von Inhalten. Veröffentlicht ein Journalist zu Beginn der Woche einen Bericht mit Daten und Fakten, die sich im Verlauf der darauffolgenden Tage verändern, kann KI den Artikel automatisch aktualisieren. So schafft KI Kapazitäten für Journalisten, die sich anderen Tätigkeiten widmen können  –etwa der investigativen Recherche. Konkret können Computer bei der Datenauswertung und Datenaufbereitung helfen, indem sie große Datenmengen scannen und Muster oder Anomalien darin erkennen. Journalisten entbindet dies von zeitintensiven Recherche-Aufgaben und ermöglicht es ihnen, sich ganz auf das kreative Schreiben zu konzentrieren. Roboter werden auch komplexere Aufgaben übernehmen können. Stichwort Gatekeeping. Es ist denkbar, dass sie das Internet durchforsten, aktuelle Trends aufspüren und prüfen, ob die Redaktion diese Themen bereits abdeckt oder nicht. Bei Bedarf erstellen sie den passenden Artikel gleich selbst.

Das Zusammenfassen von Texten hilft, die Relevanz von Inhalten schneller beurteilen zu können. Automatisch gesetzte Hyperlinks verbinden Texte mit Quellen und Begriffe mit Beispielen. Die automatische Erzeugung von Tabellen kann das Verständnis der in einem Text enthaltenen Daten durch eine übersichtliche Darstellung der Kernfakten erleichtern. Im November 2012 benötigten nach Aussage der Washington Post vier Mitarbeiter 25 Stunden, um einen Bruchteil der US-Wahlergebnisse manuell auszuwerten und zu veröffentlichen. Im November 2016 erstellte die KI Heliograf insgesamt mehr als 500 Artikel – mit minimaler menschlicher Unterstützung. Im Kern geht es also um Geschwindigkeit: für die Leser, den Newsroom, Werbetreibende und Entwickler.

Go local

Vor allem in der Nische sind automatisch erzeugte Inhalte heute erfolgreich. Die Fülle an Informationen gerade im Lokalen ist groß, die Texte sind weitgehend standardisiert und die Lesegewohnheiten in der Regel bekannt. Roboterjournalismus kann so dabei helfen, neue Leserschaften zu erschließen. Informationen lassen sich leichter erfassen und auswerten, die Inhalte einfacher verteilen. In Zukunft können dank automatischer Berichterstattung Texte über die niedrigsten Fußballligen verfasst werden, über die aus Kostengründen sonst kein Journalist und kein Medium berichtet hätte. Dazu sucht eine Software frei verfügbare Daten, etwa vom Fußballverband, und formuliert nach bestimmten Regeln den Text. Statt eine große Zielgruppe mit wenigen aufwendig und von Menschen produzierten Artikeln zu erreichen, können Redaktionen mit Unterstützung von KI viele kleine Zielgruppen mit einer großen Anzahl an automatisch generierten Artikeln erreichen.

Oh Bot, oh Bot!

Nicht nur die Nachrichtenproduktion wird sich durch den Einsatz von KI verändern, sondern auch die Art, wie Leser sich informieren. Möglich machen sollen es Chatbots. Dies sind Computerprogramme, die selbständig repetitive Aufgaben abarbeiten. Die Technologie ist nicht neu: Mit dem Erfolg des Internets wurde die Technologie Anfang der 2000er bekannt. Im Jahr 2001 führte AOL den Bot SmarterChild ein, der auf Fragen antworten konnte.

Damals wie heute funktionierten die meisten Bots auf der Grundlage von Skripts. Sie reagieren automatisch auf Textbefehle, ihre Antworten generieren sie, indem sie ihrem Gegenüber Fragen stellen, Schlüsselwörter analysieren und Sätze aus Gesprächen verarbeiten. Gepaart mit künstlicher Intelligenz sollen die Chatbots den Alltag künftig erleichtern.

Die großen Internetkonzerne wie Apple und Google arbeiten hier mit Siri und Google Assistant an Lösungen. Am Beispiel des Lautsprechers Echo von Amazon mit dem integrierten Sprachassistenten Alexa zeigt sich, welche Möglichkeiten sich darüber hinaus noch bieten. Zu ihren Aufgaben gehört das Beantworten von mündlich gestellten Fragen zu Wetter oder Verkehr und die Zusammenfassung der aktuellen Nachrichtenlage. Wer einen Urlaub buchen oder eine Pizza bestellen möchte, fragt einfach seinen Chatbot und erspart sich künftig das Surfen und Tippen im Browser.

Nachrichten per Stimmbefehl

Seit Facebook seinen Messenger für Chatbots geöffnet hat, wurden bereits über 30.000 Bots entwickelt, die als virtuelle Assistenten einfache Aufgaben ausführen können. Immer mehr Medienhäuser wie Wall Street Journal oder Economist setzen bei der Verbreitung von Nachrichten auf sie. Algorithmen generieren den Text, die automatisierten Bots versenden die News an Smartphones, Tablets oder andere Devices. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Bots scannen unvorstellbare Mengen an Daten, um daraus Nachrichten zu generieren. Diese sind im besten Fall personalisiert und ortsgebunden. Zudem zählen Messaging-Dienste zu den erfolgreichsten Diensten im Internet. Allein WhatsApp und der Facebook-Messenger kommen zusammen auf über eine Milliarde aktive Nutzer.

Kritiker wenden dagegen ein, dass die Bots noch nicht in der Lage seien, komplexe Fragen zu beantworten und beim Aufkommen unvorhergesehener Szenarien einfach nicht funktionierten. Einige Programme versuchen derlei technische Unzulänglichkeiten mit menschlicher Unterstützung abzufangen. Spätestens seit Donald Trumps Wahlsieg sind Fake-Nachrichten und Meinungs-Bots zudem eines der brisanten politischen Themen. Denn längst ist das automatische Erstellen politischer Meinungsartikel möglich, die kaum noch unterscheidbar von manuell geschriebenen sind. Die Bots werden missbraucht, um Themen, Personen oder Standpunkte in den sozialen Medien nach oben zu pushen. Das permanente Grundrauschen bewirkt, dass Hashtags in die Trending Topics gelangen.

Kürzlich wurde ein Bot-Netzwerk zum Thema Star Wars aufgedeckt. Über mehrere Jahre hinweg haben ca. 350.000 Fake-Profile auf Twitter über Themen rund um die ferne Galaxie gepostet. Mit weniger als zehn Followern pro Account war die Relevanz der einzelnen Profile zwar gering, doch in Summe werden sie die Statistiken des sozialen Netzwerks durcheinander gebracht haben.

Die neuen Technologien können auch für positive Schlagzeilen sorgen. Die Google-Schwester Jigsaw will mit Perspective gezielt gegen Internet-Trolle vorgehen. Der intelligente Dienst erkennt in Foren automatisch Hass-Postings und Trollereien. Im Rahmen der Digitalen News Initative werde Jigsaw eine Schnittstelle zur Verfügung stellen, mit der Verlage Perspective kostenlos nutzen können, um dem Internet-Hass Einhalt zu gebieten.

Fazit

Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine wird zunehmen. Roboter können Journalisten entlasten, damit sie mehr Zeit für Recherche haben. Der Computer wäre in diesem Fall kein Jobkiller, sondern Treiber von Effizienz – und damit Konkurrenzfähigkeit. Statt Artikel für die breite Masse zu produzieren, werden redaktionelle Angebote künftig auf immer kleinere Zielgruppen zugeschnitten sein. Möglich machen es die Recherche- und Analysefähigkeiten der Maschinen. Dies ermöglicht dem herkömmlichen Journalismus nicht nur eine Zukunft, sondern auch die Chance, vielfältiger und kreativer zu werden, als er es je war. Auf der anderen Seite: Dinge, die automatisiert werden können, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit automatisiert, da sie billiger und besser – weil ohne Fehler – von Robotern erstellt werden. Die Chancen stehen gut, dass Journalisten in bestimmten Formaten nicht mehr selbst Hand anlegen müssen.

Der Weg zum allwissenden Chatbot ist noch weit und am Anfang einer langen Entwicklung. Doch die selbstlernenden Algorithmen werden mit jeder Interaktion klüger. Der Zugriff auf schier unendliche Datenberge ermöglicht es ihnen von Tag zu Tag mehr, für jeden Nutzer individuell angepasste Antworten zu liefern. Schon heute verändert die Technologie die Art, wie Menschen mit Maschinen interagieren. Die Medienwelt steht im Wandel – der Journalismus, Lebensgewohnheiten und die Mediennutzung ebenfalls.

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Autor
Philipp Seidel ist Senior Account Manager bei PIABO. PIABO ist die führende Agentur der digitalen Wirtschaft mit Sitz in Berlin und erzielt für seine Kunden aus den Branchen Technologie und IT, Mobility, Lifestyle, E-Commerce und Consumer Electronics international herausragende Medienpräsenz. Das Leistungsspektrum umfasst neben Public Relations auch strategisches Social Media Management und Content Marketing. Ziel von PIABO ist es, Unternehmer aktiv beim Erreichen ihrer lokalen und globalen Wachstumsziele zu unterstützen und so maßgeblich zum Erfolg ihrer Unternehmungen beizutragen.